Tötet Einsamkeit?
Das Phänomen der „neuen Einsamkeit“ erfordert ein Nachdenken, ob unsere streng nach wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtete Gesellschaft dem Sozialwesen Mensch noch gerecht wird.
Die Expertin Diana Kinnert erklärt, dass Einsamkeit nicht nur das subjektive Gefühl des Alleinseins betrifft, sondern auch gravierende gesundheitliche Folgen hat und sogar die Gesellschaft destabilisieren kann. Sie spricht über die sozialen und politischen Auswirkungen, die entstehen, wenn Menschen sich nicht mehr zugehörig fühlen, und warnt davor, dass diese Vernachlässigung radikale Bewegungen stärkt. Zudem beleuchtet sie, dass Einsamkeit nicht nur ältere Menschen, sondern auch zunehmend junge Menschen betrifft.
Wieso ist Einsamkeit und Vereinzelung für (immer mehr) Menschen problematisch?
Naja, weil es seit Jahrzehnten Gesundheitsstudien, Gesundheitsexperimente, Evaluationen darüber gibt, dass Einsamkeit und zwar als subjektives Leiden, wogegen man sich persönlich nicht mehr wehren kann – also ich suche sozialen Kontakt und finde ihn nicht – wenn das dauerhaft vorliegt, hat es gesundheitliche Konsequenzen. Es gibt eine schwedische Metastudie aus dem Jahr 2011, die besagt, dass die verfrühte Sterbewahrscheinlichkeit um fast 30 Prozent zunimmt. Das entspricht 15 Zigaretten am Tag. Es geht auf das Immunsystem. Es senkt die Heilungschancen bei Krankheiten, es führt zu Depressionen, Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und das ist am Ende ein Gesundheitsbefund, das viele Weltführer, also viele Regierungen, viele Präsidenten gesagt haben, das können wir so nicht stehen lassen.
Eine ihrer Schlussfolgerungen als Anti- Einsamkeitsforscherin, ich hoffe, dass man diesen Begriff so verwenden kann, lautet: Gesellschaften zersplittern, der Radikalismus erstarkt und bedroht in der Folge unsere Demokratie. Wie begründen Sie diese Erkenntnis oder dieses Forschungsergebnis von Ihnen?
Einsamkeit ist ja nicht nur das Einsamkeitsgefühl an sich, sondern da spielen bestimmte Gefühle mit eine Rolle. Das bestimmte Gefühl, sich unsichtbar zu fühlen, nicht mehr zu zählen, sich nicht ausdrücken zu können, dass alles aneinander vorüberzieht. Und mit dieser Art von Vernachlässigung geht ein Gefühl einher, das ich wieder zählen möchte. Und ich glaube, dass es soziale Bühnen braucht, dass es soziale Gefüge braucht. Und wenn Menschen sie in der Mitte der Gesellschaft nicht mehr finden, wenn die Infrastrukturen derart zusammengespart oder auch kaputtgespart werden, dass die Kirche nicht mehr da ist, der Bus fährt nicht mehr, der Marktplatz ist nicht mehr da, sogar die Kneipe lohnt sich nicht mehr. Dann gibt es am Ende Rechtsextremisten oder Extremisten allgemein, die sagen, bei uns in der Garage, da ist noch Nachbarschaftsfest, wir sind die Bürgerwehr, bei uns gibt es eine Bratwurst und dann gehen Menschen dahin.
Also ich glaube, dass man bei vielen autoritären Bewegungen untersuchen muss, ob es tatsächlich die inhaltliche Zustimmung ist oder eine identitäre Zustimmung, dass man sagt, du bist bei uns willkommen, du zählst hier, wir haben dich noch nicht abgeschrieben. Und ich glaube, dass wir dieses soziale Bedürfnis unterschätzen und wenn die Mitte der Gesellschaft, die Demokraten, den Menschen als soziale Säugetiere nicht ernst nehmen und auf dieses Bedürfnis reagieren, dann tun es die Falschen.
Einsamkeit ist nicht nur ein Phänomen das ältere Menschen, sondern auch, und vielleicht versteckt würde ich meinen, sehr viele junge Menschen betrifft, die es vielleicht gar nicht selber noch wissen, aber dieses Einsamkeitsphänomen ist auch ein Phänomen, das junge Menschen betrifft, vielleicht dazu einige Gedanken.
Na ja, tatsächlich war das für uns alle eigentlich eine Überraschung, weil man dachte, der junge Mensch trifft zwölfmal so viele Menschen am Tag wie eine ältere Person. Die ist übers Handy mit allen möglichen verbunden. Man sagt über eine junge Generation, es ist die Generation Connectivity. Also jeder mit allem aller Zeit verbunden. Dating per App, Nachbarschaftshilfe per App, alles Mögliche funktioniert. Und trotzdem gibt es Studien auf der ganzen Welt, vor allem in Europa, auch aus den letzten Jahren vor Corona, nach Corona, dass junge Menschen sich einsam fühlen. Das heißt, das ist erst mal der Befund. Man muss erforschen, woran es liegt. Ich glaube, es hat eben was mit Digitalisierung zu tun. Es wird etwas mit der Polykrise unserer Zeit zu tun haben, dass junge Menschen sich überfordert fühlen von Brexit, von Donald Trump, von irgendwie autoritären Systemen, vom Klimawandel. Und wer sich ohnmächtig fühlt, der hat das Gefühl, dass er unter die Räder gerät. Der ist in seinem Selbstbewusstsein angegriffen. Der hat das Gefühl, er ist austauschbar in unserer heutigen Marktwirtschaft. Und deswegen glaube ich, dass viele junge Menschen miteinander verbunden sind, aber die Qualität ihrer Beziehung so ist wie das, was wir in unseren eigentlichen Kulturen, unserer Marktwirtschaft fordern, nämlich flexibel zu sein, austauschbar zu sein, sich schnell zu verändern, spontan zu sein, unverbindlich zu sein. Und Unverbindlichkeit ist nicht unbedingt der größte Wert einer jungen modernen Freundschaft.
Sie haben auch die Idee eines Einsamkeitsministeriums aufgeworfen. Was würden Sie empfehlen, was auf der europäischen Ebene passieren sollte? Eine gezielte Auseinandersetzung, ein Einsamkeitsminister, eine Debatte oder eine Enquete oder ähnliches mehr. Vielleicht ein paar konkrete Ideen, die man der Europäischen Kommission da mitgeben könnte.
Also ein Anti-Einsamkeitskommissar, der wäre natürlich ganz gut. Man bräuchte ganz grundsätzlich mehr Forschung, irgendwie einen Finanztopf. Man braucht ein Haus, das sich dafür verantwortlich fühlt. Ich bin immer offen dafür, egal ob das ein kleiner Stadtrat ist oder ob das die europäische Ebene ist, es muss keinen Namen geben. Also es braucht nicht dieses Haus dafür, aber es muss Verantwortlichkeiten geben. Und die sind meistens sichergestellt in dem Moment, in dem es einen Kommissar, einen Minister, einen Haus, einen Topf gibt. Wichtig ist, dass es eben Forschung gibt. Man muss das Thema enttabuisieren, man muss es zusammenführen. Es ist nicht nur ein mentales Gesundheitsthema, sondern es hat etwas mit den Grundpfeilern unserer Demokratie zu tun. Deswegen halte ich das für absolut notwendig, sich dem Thema anzunehmen, aber eben auch nicht versteckt irgendwie ausgelagert an eine Person, sondern es hat am Ende mit allen Politiken zu tun.